Ausstellung “Ansichtssachen” im Stadtmuseum Horb Blick in den Veranstaltungssaal im Neubau im Altbau korrespondierten meine Bilder mit älteren Horb-Bildern aus der Sammlung des Hauses ein Motiv - verschiedene Zeiten und Blickwinkel Eröffnungsrede Clemens Ottnad, Kunsthistoriker Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg   Die ewig gleichen Himmel haben gefälligst (mindestens touristisch gesehen) azurblau zu sein, von Wellen leicht gekräuselt das Meer stets in der Sonne zu glitzern, und all die historischen Fassaden, altvorderen Denkmale und geschichtsträchtigen Monumente uns sicher verlässlich anzuzeigen, wo wir uns oder andere, die auf Reisen sind, sich gerade befinden. Doch Postkartenidyllen sind bekanntlich trügerisch: wer würde schon – selbst noch nach zwei elend verregneten Wochen in der Toskana – beim Souvenir-Shop um die Ecke nachfragen wollen, ob sie wohl auch bleischwer wolkenverhangene Panoramabilder voller Nix-zu-Sehen führten, das Matterhorn in dichtem Nebel vollständig verborgen oder die Pariser Notre Dame komplett und damit unkenntlich unter Baufolie eingerüstet (ohne dass es sich hier um eine Kunstaktion von Christo handeln würde)? Wir lieben alle Klischees und möchten dieselben gerne immer weiter bedient wissen.  Dabei sind beispielsweise Schönheit, Glück und ein Gelingen – um nur die geläufigsten Klischees des privaten Daseins weiter voranzutreiben – doch stets Ansichtssachen, die von individuell geprägten Sehweisen und Blickwinkeln, den spezifischen Zeiten und den verschiedenen Orten, in denen wir je zu leben pflegen, abhängen. Da helfen vorgefertigte Bilder, Synonyme, Surrogate nicht wirklich weiter, denn sie sind nicht wirklich wirklich! Was wir selbst nämlich als lupenreines Strandparadies interpretieren wollen, mag etwa durch Umweltverschmutzung und moderne Sklavenarbeit als wenig erholsam erscheinen, luftige Bergwelten vom ebendiese zerstörenden Klimawandel restlos bedroht; und noch wenn wir in den gotischen Kathedralenhallen stehen, die uns weiszumachen versuchen, sie seien beredte Zeugnisse einer identitätsstiftenden Frömmigkeit und Gottesfurcht, müssen wir doch viel eher feststellen, dass sie ebensosehr auch die Ergebnisse eines höchst irdischen Repräsentations- und Machtwahns versinnbildlichen. Dessen riesenhafte Verkörperung als Architektur ist in den wenigsten Fällen in einem überschaubar homogenen Zeitraum (des Mittelalters) entstanden, sondern über die Epochen hinweg meist bis in’s 19. Jahrhundert vorangeschritten, unterbrochen von Kriegen, Geldnot und zwischenzeitlichem Desinteresse, und hat zahllosen unschuldigen Menschen das Leben gekostet.   Was also auf den ersten Blick als organische Einheit entstanden erscheint, ist nirgendwo und nirgends die als gut und alt so beschrieene gute alte Zeit, sondern erweist sich häufig genug vielmehr als ein Konglomerat ganz verschiedener (menschlicher) Ideengeber und Urheber, ein allmähliches Zusammenwachsen erst von unterschiedlichen Zeiten und Kulturen. Umso mehr bieten die Arbeiten von Ava Smitmans dem Besucher der aktuellen Ausstellung des Stadtmuseums sehr persönliche Ansichtssachen (so ja auch der Titel der Ausstellung), die einer ganz eigenen Wahrnehmung und bildnerischen Umsetzung mit zeichnerischen und malerischen Mitteln sowie eingestreuten Collagetechniken verpflichtet erscheinen.  Dabei trennt die 1969 in Tübingen geborene Künstlerin, die im norddeutschen Ottersberg und Hamburg studierte, nicht nach historischen oder stilistisch vereinheitlichenden Kategorien das allgemein kanonisiert Sehenswürdige (Erinnerungs- und Merkwürdige) von allem Nicht-Sehenswürdigen ab, im Gegenteil. Ava Smitmans bringt auf überzeugende Weise und gänzlich augenfällig das zusammen, was – wenigstens bloß vordergründig gesehen – überhaupt nicht zusammengehört. Sie öffnet damit den Blick auf wunderlich anziehende Konstellationen vermeintlich disparater Objekte, gegensätzlicher Strukturen und Oberflächen, verschiedener Sinn- und Lebenssphären, kurz gesagt auf die Nebensachen der sichtbaren, ach so bedeutungsheischenden Wirklichkeit, jene Nebensachen, von denen es mitunter auch heisst, sie seien die schönsten auf der Welt und käuflich nicht zu haben. (An dieser Stelle ist dies jedoch falsch gedacht, denn die hier gezeigten Arbeiten sind durchaus käuflich zu erwerben!) Doch nicht erst zeitgenössische Künstlerinnen wie Ava Smitmans haben sich bekanntermaßen die je eigene Freiheit genommen, den Blick (trotz Skizzen, später fotografischen Notizen u.a.) frei schweifen zu lassen oder privaten Motiv(vor)lieben anhänglich zu folgen. Bereits in zurückliegenden Stilepochen haben sich Maler und Zeichner oftmals eins zu eins reproduzierenden Vorgehensweisen enthoben, da sie mit ihren Bildarbeiten ja nicht bloß Weltwirklichkeit nachzuahmen trachteten, sondern (wenigstens in Teilen) neue Welten schaffen wollten, die umgekehrt dem sie Betrachtenden auch neuen Weltblick – Weitblick – zu eröffnen strebten. So legt auch Ava Smitmans ihren Ansichtssachen ungewöhnliche Bildausschnitte und Perspektiven zugrunde und verrückt die Dingewelt mit einer schier spielerisch leicht wirkenden Kombinatorik aus ihrer ursprünglichen Ordnung. In raffiniert wechselnden Rhythmen grafischer Strukturen einerseits und malerischer Flächenbehandlung andererseits treffen kleinteilige Detailverliebtheit und malsummarisch Großzügiges unvermittelt aufeinander und verbinden sich gleichzeitig doch; es entspinnt sich ein emsiges Schreiben, Kritzeln, Schraffen, auf durchscheinenden Lavuren, intuitiv fließenden Übergängen, darunter auch hellichte Farbenüberfälle.  Dieser formal-ästhetischen Rhythmik vermeintlicher Gegensätze (eben von Linie gegen Fläche, Schwarz-Weiss gegen die Farbe) kommen die so facettenreichen Motive entgegen, die Ava Smitmans (die seit 2009 wieder in Tübingen lebt) in Horb vorfindet. Wie zuvor – während der Jahre in Hamburg, Harburg und Heiligenhafen an der Ostsee – erachtet sie nun in der schwäbischen Provinz Neues und Altes, Wertvolles wie scheinbar Nutzloses, die großen wie die kleinen Dinge als gleichermaßen bildwürdig, und verschmilzt diese ganz selbstverständlich in ihren zeichnerisch bestimmten, nichts desto weniger malerisch organisch wirkenden Kompositionen miteinander. Die verrammelte Bäckerei schmiegt sich da an’s mittelalterliche Stadttor an, gläserne Schaufensterfassaden an altehrwürdiges Fachwerk, Kruzifix und Müllkübel, Straßenlaterne, Dachrinnen und Verbotsschilder, zuletzt eine ausgeleierte Gitarre an der Häuserwand: Spuren historischer Entwicklung wie individueller Geschichte, ein Gemeinschaftsleben ebenso repräsentierend wie private biografische Spuren, alltäglich und rätselhaft zugleich, in der exakten Beobachtung des Gewesenen und des Verrinnens von Zeit.  Zugegeben: im Kontrast zur mittelalterlicher Stadtsilhouette, zu den Hoheitszeichen und Heilsversprechen, die uns jahrhundertealte Befestigungsanlagen oder Kirchtürme zu vermitteln bieten, mag der bröckelnde Putz des zugesperrten Kinos Olympia allerhöchstens noch schäbigen Charme zu verbreiten wissen (kein Plakat mehr in der Vitrine und ob der Bus noch hält, ist ungewiss). Eingedenk dessen aber, dass just in dem Gebäude viele erste Küsse und so manche zarte Berührungen ausgetauscht wurden, zeichnen diesen Ort für Viele als sehr wohl erinnerswert aus. Das ein oder andere improvisierte Mahl (an anderer Stelle), aus der Papierserviette auf wackeligen Kunststoffstühlen eingenommen – Döner vor dem Wohlstands-Daimler –, kann in guter Gesellschaft genossen jedenfalls noch immer um Längen besser schmecken, als das erlesenste Luxus-Diner in Schöner-Wohnen-Ambiente mit Unsympathen. Allein die Farbe eines Plastikabfalleimers, die Ava Smitmans – na gut, das hat was von Azurblau –treffsicher daneben wiedergibt, genügt mir schon, um Marke, Namen und Geschmack des italienischen Lieblingseises am Gaumen nach Jahrzehnten wieder vorzukitzeln.  Ob nun aber Geschmackssachen oder Ansichtssachen: wagen Sie es doch ruhig einmal, und legen Sie das Smartphone und das Tablet beiseite, schalten den Flat Screen aus und nehmen die 3D-Brille ab, verlassen Sie einfach die cleanen Oberflächen photogeshopter Widerkäuerei optisch-visueller Einheitsbreie und entfliehen Sie – in die analoge Wirklichkeit! Die Ansichtssachen von Ava Smitmans werden Ihnen in jedem Falle neue Blicke auf Horb und (damit auch Ihre eigene) Umgebung gewähren.
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